Vorbereitung
Am Vorabend baue ich erstmals seit der 2021-er-Reise durch die Alpen das kleine Kettenblatt (52 statt 60 😉 ) ins Velo ein mit entsprechender Kettenkürzung. Noch vor der kurzen Probefahrt fällt mir der platte Pneu hinten auf, dabei habe ich das Velo seit der Rückkehr vom Bodensee-Brevet gar nicht bewegt und da war bis zuletzt genug Luft drin, hmm? Ich ziehe das Ventil fester und überpumpe mal, um vor der Abfahrt nochmals zu schauen. Die Probefahrt besteht aus „geht die Kette auf das kleinste und grösste Ritzel, dann passt das schon“.
Viel zu wenig Schlaf später stelle ich fest, dass der Luftdruck in 4h von 9 auf 6 Bar gesunken ist. So ein kleines Loch finden, mache ich ein ander mal: Pneu und Schlauch wechseln, pumpen.
Anfahrt
Nachdem der tagelange Dauerregen vor ein paar Minuten aufgehört hat, rolle ich los und stelle schon auf den ersten Metern fest: Die Schaltung funktioniert zwar, aber seeeehr unschön. Grüsse an den Blogleser, der die Schaltung vorher schon als Zumutung bezeichnet hat – JETZT hast du definitiv recht. Für die kleinen Ritzel ein paar Einstellschraube-am-Schalthebel-Umdrehungen in die eine und für die grössten in die andere Richtung, resp. dazwischen auch. Ich werde es überleben und für eine Ad-Hoc-Kettenkürz-Aktion mit möglicherweise unfahrbarem Velo als Resultat fehlen mir Mut und Zeit.
140 oft neblige km später sitze ich erstmals seit 2017 (beim 600er 2021 war wegen Covid alles anders) im Augustiner in Freiburg. Also Freiburg i.Br. Ich lerne W. kennen und geniesse mit alten Bekannten das Zmorge.
Brevet



Schön rollen oder rollen lassen mit nur wenig bremsen ist drin zwischen Bürchau und Schopfheim.

Wie vor sechs Jahren ist Mittelalterveranstaltung in Bad Säckingen und/oder Stein. Aussteigen und schieben ja, aber nur ja nicht anhalten (das Kontroll-Selfie mache ich als Smombie) oder ansprechbar sein, sonst komme ich da nicht so schnell wieder weg. Sorry für mein unsoziales Gebaren.
Auf für meinen Geschmack zu grossen Strassen für die Höhenmeter durchfahren wir den Aargauer Jura.
Die längste Steigung der Runde, hoch zum Chilchzimmersattel, wird unterbrochen durch die Kontrollstelle beim Bergrestaurant mit für uns organisierter Pastaparty. Zuvor gibt es für mich eine ca. 2km-Schiebeeinlage, was die brennenden Fussohlen etwas entlastet.
Der Pass selbst ist für Motorfahrzeuge gesperrt, weil ein Stück der Strasse abgerutscht ist. Mir solls recht sein!
Ein Gümmeler schafft es gerade so, mich (schiebend) ganz zuoberst einzuholen und meint, das sei sicher anstrengend, damit hier hoch zu fahren. Mein Gegenüber muss auch lachen ab meiner Antwort „Wer von uns zwei schnauft denn gerade heftig?“. Mein Angstgegner der Runde, die Abfahrt nach Langenbruck, überstehen Bremsen, Velo und ich unbeschadet und die zwei Randonneure im Audax-Suisse-Kit dürfen sich freuen, in einer Abfahrt ein Velomobil überholt und regelrecht stehengelassen zu haben. In Aeroposition stürzen sie sich da runter, wo ich versuche, möglichst mit Langsamfahrpassagen die Bremsen zu schonen. Die folgende, deutlich flachere Abfahrt nach Balsthal fahre ich deutlich schneller.



Es freut mich sehr, A kennenzulernen und am Strassenrand einen längeren Schwatz zu halten. Alles Gute für dein sechstes(!) PBP mit allem, was es dazu so braucht!
Hätte ich vor dem Brevet den eingangs verlinkten Bericht von vor sechs Jahren selbst gelesen, hätte ich am Brunnen möglicherweise nicht warten müssen und somit den kurzen Smalltalk mit einer Randonneurin verpasst.
Zwischen Bassecourt und Develier werden wir auf ein kleines Strässchen geführt, was völlig unnötige Höhenmeter mit viel Verkehr auf dem Schleichweg bedeuten. Später im Ziel werde ich mitbekommen, wie das dem Streckenplaner mitgeteilt wird: Sachlich und deutlich.

Die Abfahrt von Lucelle ist herrlich schön zu rollen und endlich, eeeendlich, EEEENDLICH einmal kann der Schwung in den Gegenhang mitgenommen werden. Zwar nur 50km/h (also 10 der 4650 aufgezeichneten Hm), aber immerhin!

Rückfahrt-Plan A: Direkt nach dem Brevet zurückfahren. Dafür fühle ich mich zu müde und mache mich an Rückfahrt-Plan B: Trotz fehlender(=150g gespart) Velo-Tarnkappe in Freiburg eine Unterkunft nehmen, möglichst in Gehdistanz zum Ziel (Bier…). In Freiburg scheint es nichts, also gar nichts mehr zu geben (oder 20 Uhr ist schon zu spät zum buchen), was auch nach Mitternacht einchecken erlaubt. Ich stelle mich mental auf Rückfahrt-Plan C ein: Im Ziel etwas schlafen, dann zurückfahren.
Zuoberst vom letzten Hügel machen vier Randonneure Rast und bereiten sich auf die Dunkelheit vor. Ich geselle mich kurz dazu.
Zu Beginn einer schmalen Rumpelstrecke ziehe ich mal wieder die linke Achse nach und bin froh, da nicht bei Dunkelheit durchzufahren.
Im Kebab von Blotzheim gibt es Pommes und dazu vom „Stammgast“ Beleidigungen für alles und jeden.
Noch 4km geradeaus schön langsam fahren (Wild!), danach lasse ich es bis Fessenheim velomobilgerecht laufen. Guter Belag und die potentielle Energie der Brücke über den Wasserstrasse-Abzweiger vom Rhein zur Rhone lassen die Geschwindigkeit kurzzeitig steigen; Sorry an den genau da im Gegenwind überholten Randonneur, an dem ich mit wahrscheinlich dreifacher Geschwindigkeit vorbeiziehe. 35-45km/h sind es bei den paar anderen Überholten, teilweise wahrscheinlich vom Bölchen-Brevet II, dessen Strecke ab hier identisch ist.

Auf den letzten Kilometern teilweise an Partygängern vorbei werde ich richtig langsam. Der Augustiner als Ziel ist schon gut mit Randonneuren gefüllt.
Qualifikation für die 20. Ausgabe von Paris-Brest-Paris: ✅, HELL YEAH!
Schluss-Selfie, Handy und Lichtakku an die Steckdose, alkoholfreies Bier und Pasta bestellen. Erst danach kann das Gefachsimple losgehen, unterbrochen von für „Rückfahrt-Plan C“ nötigen Schlafpause auf einer Bank im Wirtshaus, nach der es hier leerer ist als vorher.
Mir vis-à-vis erzählt mir der Organisator von ARA Ruhrgebiet von einem Velomobilisten, der kürzlich ein höhenmeterreiches 300er Brevet im Velomobil bei ihm absolviert hat. Nicht zufällig weiss ich genau, um wen es sich da handelt – die Randonneurs-Welt ist ein Dorf und die Welt der deutschsprachigen Velomobil-Randonneure entsprechend kleiner… Der Streckenplaner der heutigen Runde gleich daneben meint, das 300er sei das härteste Brevet von Audax Breisgau abgesehen der Superrandonnée. In meinem Zustand glaube ich das ganz gerne, auch ohne die anderen alle zu kennen.
Rückfahrt
In den ersten zwei Stunden der Heimfahrt schaffe ich 34 km inkl. zwei nötiger Schlafpausen. Auf der Ebene fahre ich 25-30 – mehr fühlt sich anstrengend an. Nach >100’000km Velomobil fahren könnten das die ersten Kilometer sein, auf denen ich auch zwischen Körper und Sitz nicht schwitze. Ich werte das als Zeichen, dass mit dem Velo alles in Ordnung ist und die langsame Geschwindigkeit dem Antrieb geschuldet ist.
Ich mag nicht mehr. Rückfahrt-Plan D: Ich nehme den Zug. Pünktlich (nicht auskühlen!) bin ich zwei Minuten vor Zug-Abfahrt am Bahnhof Muttenz. Der wird gerade umgebaut und das Velo passt nicht in den Lift. Auf die Treppe habe ich gerade keinen Bock und so bugsiere ich das Velo gut 30 Minuten später in Frenkendorf in die S-Bahn direkt vor die Füsse der Billetkontrolleure. „Also da bin ich jetzt mal gespannt“ war die Begrüssung und mit „das reicht mir; Darf ich ein Foto machen?“ gingen sie kurz darauf weiter – ich habe neben Billet für mich wie für ein Tandem zwei Velobillete dabei und der Zug ist am Sonntagmorgen eh fast leer. Statt in Olten zwischen übernächtigtem Partyvolk zu warten, bevorzuge ich etwas zu rollen. Hägendorf gehört wie der Aussteigebahnhof zu den noch nicht rollstuhlgängigen und so trage ich das Velo doch über drei Treppen.
